Rahmenbedingungen für eine bessere gleichberechtigte Teilhabe

Welche Rahmenbedingungen würden eine bessere gleichberechtigte Teilhabe in der Kinder- und Jugendhilfe ermöglichen?

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Inklusion hat viel mit Zeit und Personal zu tun.
Mit dem herkömmlichen Personalschlüssel an Schulen (z.B. eine Lehrkraft für 25-28 Schüler) fehlt die Zeit für die Bewältigung zusätzlich aufkommender Problemstellungen.
Kinder und Jugendliche mit Behinderung brauchen aber oft mehr Zeit, die im eng getakteten Unterrichtsalltag nicht zur Verfügung steht und die von einer Einzellehrkraft nicht geleistet werden kann.
Diese Zeit muss mit bedacht, eingeplant und personell ausgestattet werden.

Es fehlt ein niederschwellig allerorts erreichbarer Lotse /Case-Manager, der unabhängig von Kostenträgern über die Ansprüche gegenüber allen Sozialleistungsträgern (das ganze SGB) berät und, sehr wichtig ! bei der Beantragung aktiv mithilft.
Die EUTB, so ist meine Erfahrung, berät zwar, hilft aber nicht beim Beantragen (Schreiben und Korrektur von Anträgen/Begründungen), mit der Begründung, dass sie das nicht dürfe.

Kinder müssen ein Recht auf Hilfe haben auch ohne Zustimmung der Eltern. Bspw. Kinder von Suchtkranken würden gerne Kindergruppen, Einzelbetreuung, Beratung in Anspruch nehmen, auch anonym, wenn ihre Eltern das aber nicht wollen (keine Krankheitseinsicht/Problembewusstsein/Angst vor dem Jugendamt/...), gibt es für die Kinder kein bedarfsgerechtes Angebot.

Neben der besseren Ausstattung der Regelsystem durch diese selbst (insbesondere Schule) fördert eine systemische und ganzheitliche Betrachtung des Familiensystem die Teilhabe. Insbesondere bei (drohender) Behinderung von Kindern und Jugendlichen sollten die Leistungen zur Beziehung und Entwicklung auch die Eltern im Fokus haben, da diese über ihr Beziehungsverhalten maßgeblichen Einfluss auf die Kindesentwicklung haben und eine Stärkung der Eltern nachhaltig positive Folgen auf die Entwicklung des Kindes und damit auf dessen Teilhabe hat.

Teilhabe ist individuell. Dies wird häufig nicht bedacht. Es müsste eine Möglichkeit geben Hilfen individuell anzupassen und systemübergreifend (Schule, Jugendhilfe, Gesundheit) zu ermöglichen (personell und finanziell). Hierbei muss auch die Lebenswelt des Kindes/Jugendlichen mit in Augenschein genommen und ggfs. dort Unterstützung angeboten werden. Die Teilhabemöglichkeiten der Lebenswelt müssen erweitert werden und dies kann nur in der Kooperationen dieser Lebenswelten gelingen. Damit diese gut kooperieren können, müssen die Bedingungen für die Kooperation und somit für die Teilhabe verbessert werden. Zeit, Personal und Raum.

Inklusion wird oft als schulische Inklusion gedacht und diskutiert und endet leider auch oft genug dort. Die schulische Inklusion funktioniert dann auch meistens erst mit einem Schulassistenten, da die Schulen personell nicht ausreichend ausgestattet sind. Sich mit einem behinderten Kind, das auch noch auffällt, entspannt in der Gesellschaft zu bewegen, ist nicht unbedingt einfacher geworden. Loyalität, Solidarität, Toleranz und Aufeinanderzugehen würde Einiges einfacher machen und, wo das nicht funktioniert, auch gesetzliche Vorgaben. Damit meine ich auch, Kinder, die zu schwierig sind, nicht wegzuschicken "abzumelden" sondern nach Lösungen (die finanziell auch wehtun) zu suchen. Gefühlt landen gerade Kinder mit schwierigen Verhaltensweisen oft in "Heimen", weil die Eltern am Ende ihrer Kräfte sind. Bis es dazu kommt, erhalten die Familien zu wenig oder keine Hilfe oder schaffen es nicht, diese zu erhalten...und geben schließlich auf.

Aufgrund der föderalen Zuständigkeit bzw. des Ländervorbehalts in vielen Leistungsbereichen des SGB VIII, z.B. bei der Kindertagesbetreuung, lassen sich bundeseinheitliche Vorgaben zu Qualitätskriterien gesetzlich kaum regeln. Das ist bedauerlich, denn der Gedanke des Wettbewerbs zwischen den Ländern geht zulasten der jungen Menschen.
Deswegen ist es sinnvoll und notwendig, gleichzeitig und parallel zur Reform des SGB VIII ein weiteres und v.a. dauerhaftes Finanzpaket des Bundes zu entwickeln, das dauerhaft für eine ausreichende und zuverlässige Finanzierung bester Rahmenbedingungen für eine qualitativ hochwertige Kinder- und Jugendhilfe sorgt.

Der Weg, den Kinder einschlagen, wird überwiegend von den Eltern bestimmt, wage ich zu behaupten. So bestimmen die Eltern, ob ein Kind mit Behinderung eine Förderschule besucht. Gegen den Willen der Eltern etwas Anderes zu bestimmen, ist auch schwierig. Die Beratung durch die Sonderpädagogen erfolgt aft auch zur Förderschule hin. Welche Chancen hat das Kind, einen anderen Weg zu wählen?

Jugendsozialarbeit inklusiv weiterentwickeln
Im Rahmen der Reform sind noch bestehende Zugangsbeschränkungen oder Barrieren für den § 13 SGB VIII Jugendsozialarbeit zu überwinden und die Ansprüche der jungen Menschen auf bedarfsgerechte, inklusive Förderung in der Schule, beim Übergang in die Arbeitswelt bzw. in das Erwachsenenleben sowie während der Ausbildung so zu stärken, dass sie allen jungen Menschen (auch denjenigen mit einer körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigung) zuverlässig zur Verfügung stehen.
Inklusive Angebote der Jugendsozialarbeit sind zukünftig (verstärkt) barrierefrei, niedrigschwellig, partizipativ und an individuellen Bedarfen junger Menschen auszurichten. Für die Jugendsozialarbeit müssen diese Angebote zukünftig – als jugendgerechte Daseinsfürsorge und im verbindlichen Rahmen einer Jugendhilfe- und Bildungsplanung – als Infrastruktur und Regelangebot zur Verfügung stehen.

Neben der Festlegung der sachlichen Zuständigkeit sind auch klare Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit erforderlich, zB Leistungsbeginn, s. problematische Konstellationen in der Jugendhilfe.

Eine Teilhabeausrichtung ist gesellschaftlich in Deutschland insgesamt nach wie vor kaum verankert, ein dafür notwendiges gemeinsames Miteinander, das Menschen mit Behinderungen mit Respekt und Wertschätzung begegnet, ist kaum erkennbar. Insoweit halten wir einen behutsamen, aber da wo möglich, konsequenten Einstieg in eine gleichberechtigte Teilhabe für geboten.
Dabei sollte auch Augenmerk darauf gelegt werden, dass einerseits junge Menschen mit Förderbedarf auch tatsächlich notwendige Förderungen erhalten, ohne dass andererseits junge Menschen ohne Förderbedarf zu kurz kommen. Dies erfordert umfangreiche Investitionen in Aus- und Weiterbildung, eine zusätzliche Bereitstellung von fachlich geeignetem Personal aber auch Investitionen in notwendig werdende bauliche Maßnahmen. Hier sind deutlich steigende Kosten zu erwarten, die haushälterisch eingeplant werden müssen.

Die Grundlage für eine bessere gleichberechtigte Teilhabe sind gut ausgestattete, inklusiv ausgerichtete Regelsysteme mit einer ausreichenden Personalausstattung. Hierbei ist auf interdisziplinäre Strukturen und eine gute Kooperation zwischen den unterschiedlichen Institutionen/Systemen zu achten. Für Menschen < 18 Jahren sollten die Leistungen in Federführung des Jugendamtes gesteuert werden, da auch Kinder und Jugendliche mit Einschränkungen und Handicaps in erster Linie Kinder und Jugendliche sind.

Gleichberechtigte Teilhabe ist nicht nur ein Thema der Kinder- und Jugendhilfe. Alle Sozialleistungssysteme müssen da in den Blick genommen werden. Sinnvoll wäre ein wirkliches Sozialleistungsmanagement, dass alle erforderlichen Bedarfe im Blick hat und alle Leistungsträger verpflichtend einbeziehen kann.

Derzeit fallen Kinder mit Legasthenie und/oder Dyskalkulie durchs Schulsystem
Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hängt maßgeblich von schulischen Leistungen und dabei erzielten Abschlüssen ab. In erster Linie ist die Schule dafür verantwortlich, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Trotz Förderung an den meisten Schulen gibt es aber Kinder und Jugendliche, bei denen die installierten Fördersysteme nicht ausreichen. Häufig ist eine sehr gezielte individuelle Förderung nötig. Das übersteigt aber die Möglichkeiten der Regelschulen, denn hierfür ist eine adäquate Betreuung durch einen qualifizierten Lerntherapeuten (z.B. nach BVL, FiL) notwendig. Aus der Sicht des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie e.V. muss dieser Aspekt der Teilhabe am Leben an Schulen stärker berücksichtigt werden. Nur so ist es möglich, eine ihrer Begabung entsprechende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sichern.

Wenn Kinder durch einen „I-Kita-Platz“ schon den Behörden bekannt sind und später auch in der Schule eine besondere Förderung erhalten, sollte grundsätzlich auch das Jugendamt mit in die Gesamthilfeplanung einbezogen werden. So kann das Jugendamt zusätzliche Angebote machen und viel schneller feststellen, wenn es Anhaltspunkte einer Gefährdung gibt. Wenn der Austausch zwischen den Behörden vereinfacht wird, könnten auch Hürden abgebaut werden, sich kollegial fachübergreifend zu beraten und gemeinsame Interventionsmöglichkeiten zu planen.

Die Finanzierungsbedingungen der Jugendhilfe Eingliederungshilfe und Behindertenhilfe verhindern gleichberechtigte Teilhabe, weil die Finanzausstattung der jew. Kommunen bzw. Bezirks- oder Landesebenen höchst unterschiedlich sind und dies zur Ungleichheit in den Teilhabechancen und der realen Teilhabe führt. Deshalb ist eine Bundesfinanzierung mit Auftragsverwaltung durch die öff. Trägerebene vor Ort gesetzlich zu verankern.
Die persönlichen Rechte der Kinder/Jugendlichen auf Leistungen zur Teilhabe müssen gesetzlich eigenständig verbrieft werden.
Teilhabe durch unmittelbare monetäre Förderung ermöglichen.